Der letzte Geburtstag

Heute wäre der 92. Geburtstag meiner Mutter gewesen. Meine Mutter hatte starke demenzielle Veränderungen und am Ende ihres Lebens am 07. September 2012 wurde sie von ihrem Leiden erlöst. Sie ist jetzt zu Hause angekommen. Dort, wo sie in den letzten Monaten vor ihrem Tod immer hin wollte. An ihrem letzten Geburtstag gab es eine schöne Geschichte, an die ich mich immer wieder gerne erinnere.

Wir wollten ihren 89. Geburtstag feiern. Meine Schwägerin hat alles für den Geburtstagskaffee im Eßzimmer meiner Mutter vorbereitet. Als wir, meine Tochter, ihre Freundin und ich bei meiner Mutter angekommen waren, saß meine Mutter im Raum auf dem Sofa und hat uns nicht registriert. Wir waren Luft für sie. Wir setzten uns an den Geburtstagstisch, meine Schwägerin und meine Nichte setzten sich dazu. Wir animierten meine Mutter sich zu uns an den Tisch zu setzen.

Egal, was wir sagten, es prallte an meiner Mutter ab. Wir, am Geburtstagstisch, hatten bereits eine Flasche Sekt geöffnet und fragten meine Mutter, ob sie an den Tisch kommen würde, um mit uns auf ihren Geburtstag anzustoßen. Keine Reaktion. Plötzlich erhob sie sich vom Sofa und ging, ohne uns eines Blickes zu würdigen, aus dem Zimmer. Durch die geöffnete Zimmertür sahen wir sie zur Garderobe gehen. Dort zog sie sich die Jacke der Freundin meiner Tochter an. Mein Tochter ging zu ihr und fragte: „Oma, was machste, willste deine Jacke anziehen?“ Oma antwortete nur: „Laß mich in Ruhe!“ Meine Tochter half ihrer Oma in Jacke, Schuhe und Mütze und Oma verließ das Geschehen und ging in den Garten.

Wir, am Kaffeetisch, saßen etwas verwirrt da. Klar, wir alle wußten über Demenz Bescheid, aber so eine Situation hatten wir bisher nicht. Kurze Zeit später brachte mein Bruder unsere Mutter wieder ins Haus zurück. Sie sah uns am Tisch sitzen, als ob wir auf sie gewartet hätten und fragte uns: „Wo kommt ihr denn alle her?“ Geistesgegenwärtig antworteten wir: „Wir wollten dich an deinem Geburtstag überraschen“. Sie fand es ganz toll, zog sich die Jacke aus und setzte sich zu uns an den Tisch. Wir tranken alle gemeinsam Kaffee und aßen Kuchen. Als wir dann endlich mit einem Glas Sekt anstoßen wollen, meinte meine Mutter, das ist aber ein ekeliges Getränk. Schnell schüttete sie zwei Kaffeelöffel Zucker in den Sekt und meinte: „Jetzt schmeckt es besser“. Früher mochte sie gerne Sekt, aber mit Fortschreiten der Krankheit veränderte sich auch der Geschmack.

Nach ihrem Geburtstag schritt die Krankheit immer schneller voran. Aber dieser Geburtstag bleibt immer in meiner Erinnerung.

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